„Bewegung macht glücklich!“

Körperliche Aktivität wirkt Wunder. Sie hält uns fit, tut der Seele gut – und kann insbesondere Menschen mit Handicap zu Teilhabe am sozialen Leben verhelfen. Zwei Expertinnen geben Praxistipps, wie der Einstieg gelingt. Außerdem erzählen Stomaträgerin Alisa und der inkomplett Querschnittgelähmte Ben von ihren Erfahrungen.

Bewegung verbessert die Abwehrkräfte, schützt vor Herz-Kreislauf-Problemen, kräftigt Knochen und Muskeln. Sie stabilisiert das psychische Gleichgewicht und kann sogar das Risiko für Demenz und psychische Erkrankungen senken. Kurz: „Bewegung macht glücklich“, bringt es Dr. Vera Jaron auf den Punkt, „denn körperliche und mentale Gesundheit hängen unmittelbar zusammen.“ Dabei ist es der Vizepräsidentin des Deutschen Behindertensportverbands (DBS) wichtig zu betonen, dass Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen von körperlicher Aktivität profitieren. „Wir sind dafür geschaffen, uns regelmäßig zu bewegen.

 

Wenn jemand im Rollstuhl sitzt, ändert das nichts an seinem Körperbau“, erläutert die Ärztin. „Das muskuloskelettale System muss gebraucht werden, wenn es funktionieren soll. Aus Erfahrung wissen wir, dass die Knochendichte und Muskelmasse ansonsten schnell abbauen.“ Und wer sich beispielsweise nach einer Stoma-Anlage auf die Couch zurückziehe, drohe zu vereinsamen. Hinzu kommt: „Zahlreiche Studien sagen, dass Bewegung die Prognose bei vielen Krebsarten deutlich verbessert“, so Dr. Jaron. 

 

150 Minuten Bewegung in der Woche 

Nicht umsonst empfiehlt die WHO (World Health Organization) Erwachsenen wöchentlich mindestens 150 Minuten körperlicher Aktivität von moderater Intensität – je mehr, desto besser. Geeignet ist, was gefällt: vom Treppensteigen über Spazierengehen und Radeln für Stomaträger bis zum Handbiken, Yoga oder Tanzen für Rollstuhlnutzer. Leider zeige der Teilhabebericht der Bundesregierung, dass Menschen mit Behinderung deutlich weniger Sport treiben als Menschen ohne Handicap, so Dr. Jaron. Dies liege teilweise an fehlenden Angeboten, aber auch an Barrieren – praktischer wie mentaler Art.  

 

Peers zeigen, was möglich ist  

Das beobachtet auch Tanja Bungter von der Sporthochschule Köln und weist auf die positiven Effekte hin, die Bewegung gerade nach einem Unfall oder einer OP auf physischer, psychischer und nicht zuletzt sozialer Ebene auslöse – bis hin zu Freizeitgestaltung und Arbeitsleben. Neben der alltäglichen Mobilität wirke sich Bewegung günstig auf Kraft, Ausdauer und Koordination aus. Im Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport der Gold-Kraemer-Stiftung, einem An-Institut der Sporthochschule Köln, beschäftigt sich Tanja Bungter hauptsächlich mit den Möglichkeiten, die sich Menschen im Rollstuhl bieten. „Nach einer im Laufe des Lebens eingetretenen Behinderung müssen sie sich zunächst mit der neuen Situation auseinandersetzen“, erläutert die Diplom-Sportwissenschaftlerin. Danach komme es darauf an, ob jemand bereits vorher sportlich gewesen sei oder sich neu orientieren wolle. Erste Hilfestellung geben behandelnde Ärzte oder Therapeuten, sowohl im Krankenhaus wie in der Anschlussheilbehandlung oder späteren Versorgung. „Unserer Erfahrung nach ist auch das Peer-Konzept sehr vielversprechend, das es mittlerweile in vielen Kliniken gibt“, so Tanja Bungter. Dabei geben Menschen aus einer ähnlichen Situation heraus praxisnahe Tipps, die sich auf eigene Erfahrungen stützen. „Positive Beispiele können Mut machen und motivieren. Denn oft haben Betroffene nicht den Blick für das, was auch mit einem Handicap alles möglich ist.“  

Bewegung bringt Selbstbewusstsein zurück 

Auch nach einer Stomaversorgung stehen mentale Blockaden dem (Wieder-)Einstieg in ein bewegtes Leben häufig im Weg. Der erste Schritt sei, seinem Körper nach dem Eingriff positiv zu begegnen und ihn anzunehmen. „Zunächst sollte die Stomaversorgung stabil sein“, weiß Dr. Jaron aus ihrer früheren Tätigkeit als Chirurgin. Doch dann sei – abgesehen von forcierten Bauchmuskelübungen – Bewegung jeglicher Art ein gutes Mittel, Selbstbewusstsein zurückzugewinnen. Eine Erfahrung, von der auch Stomaträgerin Alisa Hünerfeld im Interview berichtet.    

 

Gruppensport bietet ungezwungenen Austausch 

Am besten gelinge dies, da sind sich die beiden Expertinnen einig, in der Gruppe. Die Vorteile liegen auf der Hand: In speziellen Reha- oder Behindertensportgruppen treffen sich Menschen mit ähnlichen Handicaps und überwinden Hemmungen und Schamgefühle. Alle müssen sich an Einschränkungen gewöhnen. Für viele ist dies ein erster Schritt heraus aus der Isolation und hilft, mentale Blockaden zu lösen. „In der Gruppe werden sie ernst genommen und sind willkommen“, erläutert Dr. Vera Jaron, die selbst seit Jahren als qualifizierte Übungsleiterin im Rehasport arbeitet: „Wir hören zu, versuchen Ängste abzubauen und unterstützen dabei, positiv zu denken.“ Neben Bewegung und Spiel biete die Gruppe Zeit zum Austausch. Dazu gehöre auch ein vertrauliches Gespräch über Katheter oder Stoma ebenso wie der Erfahrungsbericht der MS-Patientin, die sich wegen ihres unsicheren Ganges als Alkoholikerin stigmatisiert fühlt.  

Rehabilitationssport wird ärztlich verordnet und verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Im Vordergrund stehen nicht Leistung und Wettkampf, sondern Freude an der Bewegung, die oft auch spielerische Elemente enthält. „Ich erlebe immer wieder, dass sich in den Gruppen Freundschaften bilden“, berichtet Dr. Vera Jaron. „Außerdem erhöht das soziale Miteinander die Motivation, dabei zu bleiben“, ergänzt Tanja Bungter. „Es geht nicht nur um das Trainieren, sondern auch um das Wiedersehen und das Zugehörigkeitsgefühl.“ Ein Vorteil, den der Mannschaftssport ebenso bietet. Rollstuhlsportler Ben Döring beispielsweise hat der Teamsport dabei geholfen, über mentale Blockaden hinwegzukommen, wie er im Interview erzählt.   

Auch Alltagsaktivitäten steigern das Wohlbefinden 

Doch nicht immer sind wohnortnahe Angebote verfügbar. Dann kann ein normaler Sportverein oder das Fitnessstudio eine sinnvolle Alternative sein. Auch fühlen sich nicht alle Menschen in der Gruppe wohl. Ihnen helfen Stoma- oder Physiotherapeuten mit individuellen Trainingstipps weiter, wie sie ihre Mobilität wiedergewinnen und erhalten. Dazu können auch empfohlene Anleitungen auf Apps oder Videos gehören. Wichtig für die Eigenmotivation seien realistische Ziele und Bewegungsformen, die wirklich den individuellen Bedürfnissen entsprechen, sagt Tanja Bungter. Auch dürfe man gesundheitsförderliche Bewegung nicht unbedingt mit Sport gleichsetzen. Selbst Alltagsaktivitäten führen zu Erfolgserlebnissen, die das Selbstwertgefühl stärken und das Wohlbefinden steigern (siehe Bewegungstipps für Stomaträger oder Querschnittpatienten). So fühlen sich etwa die meisten Menschen mit Handicap im Wasser wohl. Für Stomaträger gehören außerdem flottes Spazierengehen, Radeln oder Walken dazu, Rollinutzer halten sich beispielsweise mit Handbiken oder leichten Hantelübungen fit, die den Oberkörper stärken. „Geeignet ist alles, was Spaß macht und guttut. Dann ist die Wahrscheinlichkeit am größten, regelmäßig und lebenslang dabeizubleiben“, fasst Tanja Bungter zusammen, und Dr. Vera Jaron fügt hinzu: „Das Einzige, was man nicht tun sollte, ist: nichts zu tun.“ 

 

Erscheinungszeitpunkt: April 2025
Bildquelle: Coloplast
Redaktion: mk Medienmanufaktur GmbH

"Mein Tipp: ein Ziel setzen"

Seit 2015 ist Alisa Hünerfeld Stomaträgerin. Das ist für die 33-Jährige kein Grund, auf körperliche Aktivitäten zu verzichten – ganz im Gegenteil. 

Wie halten Sie sich fit? 

Ich bin immer viel in Bewegung, vor allem mit meinen beiden Hunden, mache aber zum Beispiel auch Yoga und Beckenbodentraining. Bevor mein Pferd zu alt war, bin ich geritten.   

Warum ist Bewegung für Stomaträger so wichtig? 

Je weniger man sich bewegt, desto größer werden auf Dauer die körperlichen Einschränkungen, das ist bei allen Menschen so. Außerdem ist Bewegung gut für die Psyche. Die Glückshormone Serotonin und Dopamin werden im Darm produziert. Deshalb sind Patienten, denen Darm entfernt wurde, oft antriebslos und depressiv. Aber wenn wir uns bewegen, fördert das die Produktion von Glückshormonen! Natürlich ist es am Anfang etwas schwierig, weil sich der Körper anders anfühlt und Begleiterscheinungen auftreten können. Aber nach einer Weile kann man alles machen, laufen, schwimmen, egal. Das Stoma an sich ist kein Hindernis. 

 Ihr Tipp für Stomaträger, die aktiv werden wollen? 

Das Wichtigste ist, sich ein Ziel zu setzen, für das man kämpft, und sich zu belohnen, wenn man es erreicht hat. Mich persönlich haben nach der OP meine Tiere angespornt. Aber es gibt auch viele andere Motive, sich selbst zu mobilisieren: einen Hund aus dem Tierheim ausführen, die alte Runde durchs Feld schaffen oder zu Fuß zur Eisdiele gehen. Es ist völlig egal, wie lange das am Anfang dauert. Hauptsache ist, in Bewegung zu kommen und zu bleiben.  

 

Alisa Hünerfeld ist Gebietsmanagerin Stoma bei Coloplast und Buchautorin (alisahuenerfeld.de). 
Bild: privat 

Bewegungstipps für Stomaträger

  • Sportliche Aktivitäten nicht direkt nach der OP beginnen, damit sich der Körper erholen kann und innere Narben abheilen können. Hinweis: Bitte besprechen Sie die Art Ihrer körperlichen Aktivität mit Ihrem behandelnden Arzt/Ihrer behandelnden Ärztin.  
  • Geeignet sind alle Sportarten von Spazierengehen über Wandern und Radfahren, Joggen, Nordic Walking bis zu Schwimmen. Weniger geeignet: Übungen zur Bauchdeckenanspannung.  
  • Die Aktivität soll Spaß machen, eventuell motivieren Sie Freunde oder Familie oder treten einem Sportverein bei. 
  • Kaufen Sie sich zur Motivation ein schönes Outfit. 
  • Möglicherweise fühlen Sie sich mit einem Gürtel, Mieder oder einer Bandage sicherer. 
  • Lassen Sie es langsam angehen, lieber mehrmals die Woche etwas kürzer. 
  • Gerade bei Ausdauersportarten: Trinken nicht vergessen. 
  • Eventuell von Stomatherapeut oder Arzt über die geeignete Ernährung beraten lassen. 

„Mein Tipp: einfach probieren!“

Ben Döring ist seit dem Jahr 2000 inkomplett querschnittgelähmt. Sport spielt im Leben des 45-Jährigen seitdem eine noch wichtigere Rolle als zuvor.  

 

Wie halten Sie sich fit? 

Ich habe vor der Querschnittlähmung schon Basketball gespielt und bin dann auf Rollstuhlbasketball umgestiegen. Hinzugekommen sind Handbike, Golf, Fitnessstudio und Stand-up-Paddling. Meine sportlichen Aktivitäten sind seitdem viel mehr in die Breite gegangen, und ich probiere aus, was geht – egal ob Wasser, Land, Berge, Schnee ...  

 

Wie haben Sie anfängliche mentale Blockaden überwunden, um wieder in Schwung zu kommen? 

Ich hatte mir ein großes Ziel gesetzt, und zwar in die Nationalmannschaft zu kommen und an den Paralympics teilzunehmen. Das habe ich geschafft. Und ansonsten haben mir auch einfach die Freundschaften geholfen, die ich über den Sport geschlossen habe, und das gegenseitige Antreiben. 

 

Ihr Tipp für Rollstuhlnutzer, die aktiv werden wollen? 

Als Erstes sollte man sich ein Thema suchen, eine Bewegungsart, die zu einem passt, die einen interessiert. Dann ist es empfehlenswert, der Reihe nach sämtliche entsprechenden Hilfsmittel zu testen. Und das Wichtigste: einfach alles probieren! 

 

Ben Döring ist Key Account Manager bei Coloplast. 
Bild: privat 

Bewegungstipps für Querschnittpatienten

  • Starten Sie mit Mobilitätstraining, um Sicherheit zu gewinnen. Hinweis: Bitte besprechen Sie die Art Ihrer körperlichen Aktivität mit Ihrem behandelnden Arzt/Ihrer behandelnden Ärztin. 
  • Besonders geeignet sind Aktivitäten zur Förderung von Kraft und Ausdauer sowie zum Erhalt der Beweglichkeit (Handbiken, Rennrollstuhl, Rudern). 
  • Mannschaftssportarten sorgen für Kontakte und stärken das Selbstwertgefühl (z. B. Rollstuhlbasketball). 
  • Wichtig: Überforderung wie zu hohe Intensität oder einseitiges Training vermeiden, um Fehlhaltungen und Überlastungsschäden auszuschließen. 
  • Je nach Belastung kann ergänzend gezieltes Krafttraining helfen. 
  • Die Online-Übersicht des Deutschen Rollstuhl-Sportverbands (DRS) hilft bei der Wahl einer geeigneten Sportart und der Suche nach einem Verein in der Nähe. 

„In Sportgruppen entstehen immer wieder neue Freundschaften.“

Dr. med. Vera Jaron, Sportmedizinerin und Vereinsärztin, ist Vizepräsidentin Bildung/Lehre beim Deutschen Behindertensportverband e. V. (DBS) – NPC National Paralympic Committee Germany sowie aktive Übungsleiterin in der Rehabilitation.  

Bild: Deutscher Behindertensportverband

„Es ist niemals zu spät, mit der Bewegung zu starten.“

Tanja Bungter, Diplom-Sportwissenschaftlerin und Lehrbeauftragte an der Sporthochschule Köln, ist Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport (FIBS gGmbH) der Gold-Kraemer-Stiftung.  

Bild: Die Schnappschützen 

Körperliche und mentale Gesundheit hängen unmittelbar zusammen. Bewegung spielt dabei eine wichtige Rolle. 

Bild: Coloplast

Stomaträger können vielfältig aktiv werden: vom Spazierengehen über Wandern und Radfahren, Joggen, Nordic Walking bis hin zum Schwimmen. 

Bild: Coloplast 

Grundsätzlich gilt bei Aktivitäten mit Handicap: Es ist alles geeignet, was Spaß macht, wie zum Beispiel auch Rollstuhlwanderungen. 

Bild: Coloplast