„Hoffnung hält uns auf dem Weg“

Psychologie und Gesundheit

Als entscheidender Antrieb hilft sie uns, Alltag, Krisen und Krankheiten zu bewältigen: die Hoffnung. Prof. Dr. Dr. Gabriele Stotz-Ingenlath, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, erläutert, warum ein positiver Zukunftsglaube der Motor unseres Lebens ist. Außerdem erzählen Maria und Felix, wie sie es trotz Rückschlägen geschafft haben, die Hoffnung nie zu verlieren.   

 

Ein Unfall, eine unerwartete medizinische Diagnose, der Verlust eines geliebten Menschen – von heute auf morgen kann sich unser Leben auf den Kopf stellen und wir treiben ins Ungewisse. Doch in diesen Zeiten der Veränderung gibt es einen Anker, der uns Halt gibt: die Hoffnung. „Sie ist sehr mit dem menschlichen Leben verquickt. Ohne Hoffnung können wir nicht leben. Die Hoffnung gehört zu unserer menschlichen Natur, sie ist etwas spezifisch Menschliches. Die Hoffnung richtet sich auf ein Noch-nicht, auf eine Zukunft, die wir uns positiv ausmalen und die wir mit Zuversicht erwarten. So hält die Hoffnung uns auf dem Weg“, sagt Prof. Dr. Dr. Gabriele Stotz-Ingenlath, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Professorin für Psychische Gesundheit in der Sozialen Arbeit an der Katholischen Stiftungshochschule München. „Ein gewisses Quantum Hoffnung haben wir alle als menschliche Eigenschaft, Charakterzug und Haltung mitgegeben – einen positiven Zukunftsglauben, der uns bei der Bewältigung unterschiedlichster Herausforderungen hilft.“

„Hoffnung ist eine treibende Kraft, die Therapien effektiver machen und auch körperliche Verbesserungen bewirken kann.“

Prof. Dr. phil. Dr. med. Gabriele Stotz-Ingenlath
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Professorin für Psychische Gesundheit in der Sozialen Arbeit an der Katholischen Stiftungshochschule München, Ansprechpartnerin für Psychosoziale Beratung am Campus München
Bild: privat

Die Kraft der Hoffnung

Insbesondere im Heilungsprozess nehme die Hoffnung daher eine entscheidende Rolle ein, ist Gabriele Stotz-Ingenlath überzeugt: „Hoffnung ist eine treibende Kraft, die Therapien effektiver machen und auch körperliche Verbesserungen bewirken kann. Ein Prinzip, das wir beispielsweise auch von der Placebo-Wirkung kennen: Wenn man hofft, dass diese weiße Tablette meine Kopfschmerzen lindert – dann wird das Kopfweh leichter.“ Inzwischen gibt es zahlreiche Forschungsansätze, die Zusammenhänge zwischen dem Prinzip der Hoffnung und Heilungsprozessen untersuchen. Die sogenannte Psychoneuroimmunologie (PNI) erforscht beispielsweise die Wechselwirkungen zwischen psychischen Prozessen (Denken, Fühlen), dem Nervensystem und dem Immunsystem. Studien in diesem Bereich legen nahe, dass positive Emotionen wie die Hoffnung einen direkten Einfluss auf die körperliche Gesundheit haben können.4,5 „Sie wirken oft über komplexe Mechanismen, indem sie Stress reduzieren, die Immunfunktion beeinflussen und die Motivation zur Genesung stärken“, fasst Gabriele Stotz-Ingenlath zusammen. So konnte auch bereits belegt werden, dass bei der Resilienz (Widerstandsfähigkeit) von Patienten mit chronischen Krankheiten höhere Hoffnungswerte oft mit besseren Bewältigungsstrategien, weniger Depressions- und Angstsymptomen sowie einer verbesserten Lebensqualität verbunden sind.1,2 Patienten, die Hoffnung haben, sind außerdem häufig motivierter, ihre Behandlungspläne einzuhalten und sich aktiv am Heilungsprozess zu beteiligen.3  „Bei einem Menschen, der Hoffnung hat und der mit Zuversicht und Vertrauen die Zukunft erwartet, ist es deshalb sehr wichtig, die Hoffnung zu bewahren und nicht aufs Spiel zu setzen“, resümiert Gabriele Stotz-Ingenlath. (Strategien, wie Angehörige oder Freunde mit den Hoffnungen eines Betroffenen umgehen können, finden Sie hier.)

 

Die kleinen Hoffnungen

Doch wie lässt sich Hoffnung bewahren, wenn alles aussichtslos erscheint? „Heilung bedeutet nicht immer, die perfekte Gesundheit zu erreichen, sondern oft einfach die Akzeptanz des eigenen Zustands“, sagt Gabriele Stotz-Ingenlath, die auch Ansprechpartnerin für psychosoziale Beratung im Krisenpräventionsteam am Campus München ist.

„Gerade nach einem Unfall oder einer schwerwiegenden medizinischen Diagnose gibt es da zunächst diese große Hoffnung, dass alles so wird wie vorher. Das ist eine sehr medizin- und heilungsbezogene Hoffnung. Viel wichtiger werden mit der Zeit jedoch die kleinen Hoffnungen. Es hilft, sich zu fragen: Was gibt mir Halt? Was bereitet mir Freude? Aus welchen Quellen schöpfe ich Kraft? Das kann zum Beispiel die Natur sein, die Musik. Erlebnisse der Selbstvergessenheit, des Eingebettetseins, des inneren Friedens – all das nährt die Hoffnung. Am Ende geht es um mein Angenommensein als Mensch in dieser Welt. Dass man sich selbst in einem größeren Ganzen und einer Gemeinschaft sieht.“


Auch wenn sich die Umstände geändert haben, hält das Leben weiterhin Freude und Glücksmomente bereit, die Anlass zur Hoffnung geben.

Bild: Coloplast

Gemeinsame Zeit mit Freunden oder Familie stärkt die Hoffnung.
Bild: Coloplast

Fokus auf das Gute

Auch Maria weiß, was es bedeutet, wenn sich das Leben von heute auf morgen ändert. Sie lebt seit einem Reitunfall im Jahr 2002 mit einer Querschnittlähmung. Als ihr Mann 2022 plötzlich stirbt, reißt ihr das einmal mehr den Boden unter den Füßen weg. „Der Tod meines Mannes hat mir so viel mehr zugesetzt als die Diagnose Querschnittlähmung vor 20 Jahren“, erzählt Maria. „Erst mal atmet man nur, man atmet und atmet, mehrere Wochen und dann wird der Radius irgendwann wieder größer. Man setzt sich raus in die Sonne und merkt, wie gut das tut. Es kommen wieder diese kleinen Momente, die einem Hoffnung geben. Mir hat es geholfen, den Fokus auf das Gute im Leben zu setzen. Natürlich ist das nicht immer einfach, weil wir Menschen dazu neigen, uns im Negativen festzusetzen – aber man kann es lernen.“ Kraft gaben Maria ihre kleine Tochter, aber auch der Austausch mit anderen, die eine ähnliche Situation wie sie selbst erlebt haben. „Nach dem Tod meines Mannes habe ich eine Trauergruppe besucht. Die gemeinsamen Gespräche haben mir unheimlich geholfen“, erzählt die 43-Jährige, die inzwischen als Speakerin, Mentorin und Coachin mit ihrem Business „lebensverliebt.jetzt“ anderen Mut machen möchte. Sie ist überzeugt: „Mit jedem kleinen Fortschritt wächst auch die Hoffnung auf ein erfülltes Leben und die Erkenntnis, dass das Leben, trotz aller Herausforderungen, schön und lebenswert sein kann.“ (Tipps von Maria finden Sie hier.) 

 

Perspektiven aufzeigen

Für Felix kam Aufgeben ebenfalls nie in Frage. Seit einem Autounfall 2013 ist der Tetraplegiker ab dem fünften Halswirbel abwärts gelähmt. „Ich habe mir nie Hoffnung auf große körperliche Verbesserungen gemacht. Ich habe vielmehr gelernt, meine Situation so anzunehmen, wie sie ist, und habe versucht, immer das Beste daraus zu machen. Ich denke, es ist ganz wichtig, keinen falschen Hoffnungen hinterherzulaufen.“ Seine Familie gab ihm von Anfang an den nötigen Halt. „Meine Eltern haben mir ganz viele Perspektiven aufgezeigt und waren an meiner Seite, das hat mir schon sehr viel Hoffnung gegeben“, erzählt Felix. „Aber natürlich macht es etwas mit einem, wenn man von einem 1,90-Meter-Mann zu einem 1,50 Meter großen, gebückten Rollstuhlfahrer wird, der auf komplette Hilfe angewiesen ist. Und natürlich gab es immer wieder Tiefen, aber ich habe gelernt, diese Momente nicht mein Leben bestimmen zu lassen.“ Felix beendete sein Studium. 2015 fing er an, stundenweise zu arbeiten. Gleichzeitig konzentrierte er sich auf seinen Körper und eroberte Stück für Stück einige Körperareale zurück. Heute lebt er mit seiner Freundin zusammen, die er nach dem Unfall kennenlernte, engagiert sich in der Peer-Arbeit und schreibt Artikel über seine Erfahrungen (Tipps von Felix finden Sie hier). „Anderen zu zeigen, was alles möglich ist, und ihnen Mut zu machen, gibt mit sehr viel zurück.“ Und dann ist da noch sein Stoma (künstlicher Darmausgang), für dessen Anlage er sich vor ein paar Jahren bewusst entschied. „Seit ich das Stoma habe, habe ich so viel mehr an Lebensqualität gewonnen. Ich kann den Beutel sogar mit meiner Funktionshand selbstständig wechseln“, erzählt Felix. „Und das ist es, was mir auch heute, zwölf Jahre nach dem Unfall, immer wieder Kraft und Hoffnung gibt: zu sehen, dass sich etwas bewegt. Ich bewege mich, ich bewege Dinge, ich bin selbstwirksam.“ Für Gabriele Stotz-Ingenlath ist es das, was Hoffnung am Ende ausmacht: „Hoffnung beginnt da, wo Worte aufhören. Letztlich ist die Hoffnung ein großes Geschenk mit einem nicht zu vernachlässigenden Wirkfaktor – etwas, das es zuzulassen, zu beachten und achtsam zu bewahren gilt.“

 

 

Erscheinungszeitpunkt: Juli 2025
Bildquelle: Pixabay/Pexels
Redaktion: mk Medienmanufaktur GmbH

Tipps von Maria und Felix: „Jeder lebt seine eigene individuelle Reise“

Seit einigen Jahren engagieren sich Maria und Felix als Peers bei der FGQ (Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten). Sie stehen, wie viele andere im Peer-Netzwerk, Betroffenen zur Seite, geben Hilfestellungen und möchten Mut machen. Maria und Felix haben folgende Tipps, die Hoffnung machen:

  • Situation annehmen: Es ist wichtig, den Fokus auf das Gute im Leben zu lenken und dann Schritt für Schritt weiterzugehen. Dabei hilft, das Geschehene anzunehmen und zu akzeptieren, ohne es zu bewerten.
  • Glücksmomente finden: Auch wenn sich die Umstände geändert haben, hält das Leben weiterhin Freude und Glücksmomente bereit. Welche Dinge tun mir gut? Zum Beispiel ein Spaziergang in der Natur, Musik hören oder Zeit mit Freunden zu verbringen.
  • Sich nicht vergleichen: Jeder lebt seine eigene individuelle Reise. Es ist wichtig, nicht in den Druck äußerer Erwartungen zu geraten und sich nicht mit anderen zu vergleichen – auch wenn man vermeintlich ähnliche Schicksale teilt. Der eine kommt schneller voran, bei dem anderen dauert es länger – das ist ganz normal.

Mehr Informationen und Austausch
Für Querschnittpatienten: www.fgq.de/peer-counseling/
Für Stomaträger: www.ilco.de/

Tipps für Familienmitglieder und Freunde: „Werden Sie zum Stellvertreter der Hoffnung“

Hoffnung wird durch die Gemeinschaft gestärkt. Angehörige und Freunde spielen daher eine wichtige Rolle. Gabriele Stotz-Ingenlath empfiehlt:

  • Emotionale Unterstützung geben: Vermitteln Sie Sicherheit und geben Sie dem Betroffenen Raum, sich auszudrücken. Gehen Sie sehr behutsam und vorsichtig mit seiner Hoffnung um. Gleichzeitig ist es wichtig, keine falschen Hoffnungen zu wecken. Die Balance zwischen Ehrlichkeit, Authentizität und Sensibilität ist sehr wichtig.
  • Gemeinsame Aktivitäten planen: Schaffen Sie gemeinsame Momente, zum Beispiel in der Natur oder beim Musikhören – es sind die kleinen Dinge, die helfen, positive Emotionen zu fördern und die Hoffnung zu stärken.
  • Selbstwirksamkeit fördern: Geben Sie Ihrem Gegenüber ein Gefühl der Kontrolle und der Selbstwirksamkeit. Das kann anfangs schon durch kleine Entscheidungen geschehen, die eine aktive Beteiligung ermöglichen, zum Beispiel indem Sie fragen, an welche Seite des Bettes Sie sich setzen dürfen.

„Es kommen diese kleinen Momente, die einem Hoffnung geben. Mir hat es geholfen, den Fokus auf das Gute im Leben zu setzen.“

Maria, 43, arbeitet als Coachin, Mentorin und Speakerin, um „lebensverliebte Mutmomente“ zu vermitteln. (maria@lebensverliebt.jetzt, www.lebensverliebt.jetzt, www.instagram.com/lebensverliebt.jetzt)
Bild: privat

„Ich habe gelernt, meine Situation so anzunehmen, wie sie ist. Es ist ganz wichtig, keinen falschen Hoffnungen hinterherzulaufen.“

Felix, 38, teilt seine Erfahrungen als Blogger und in der Peer-Beratung (Felix.Esser@fgq-beratung.de)

Bild: privat

1. Kylmä, J., Juvonen, E., & Elo, S. (2007). Hope and well-being in patients with chronic illness: A systematic review. Journal of Advanced Nursing, 59(3), 209–221.

2. Savaş, A., & Luo, X. (2022). The role of hope in reducing depression and anxiety in patients facing significant health challenges, such as cancer and chronic illness. Journal of Health Psychology, 27(7), 1667–1678.

3. Akpinar, B., & Akbiyik, D. I. (2024). The impact of hope levels on treatment adherence in psychiatric patients. Acta Psychiatrica Scandinavica.

4. Dhabhar, F. S. (2014). Effects of stress on immune function: the good, the bad, and the beautiful. Immunologic Research, 58(2–3), 193–210.

5. Segerstrom, S. C., & Sephton, S. E. (2006). Optimistic expectancies and cell-mediated immunity: The role of positive affect. Psychosomatic Medicine, 68(1), 89–95