Wege aus dem Grau

Tabuthema Depression

Am 5. Oktober 2025 fand der Europäische Depressionstag statt. Wir haben mit Professor Dr. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention, über Ursachen und Anzeichen einer Depression, häufige Missverständnisse und die wichtigsten Behandlungsmethoden gesprochen. Bei der Überwindung einer Depression können auch Familie und Selbstmanagement unterstützen – in jedem Alter.

 

„Verstimmungen gehören zum Leben“, sagt Professor Dr. Ulrich Hegerl. „Zum Beispiel, wenn etwas schiefläuft, man einen Verlust erleidet oder überfordert ist.“ Bei einer echten Depression hingegen handelt es sich um eine schwere, oft lebensbedrohliche Erkrankung, so der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention. 5,3 Millionen Menschen1 erleiden jedes Jahr in Deutschland eine behandlungsbedürftige depressive Episode, Frauen doppelt so häufig wie Männer. Depression gehört somit zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen.

 

„Depression ist mehr als eine Reaktion auf schwierige Lebensumstände. Menschen mit dieser Veranlagung erkranken auch bei guten Lebensumständen – und dies meist mehrfach in ihrem Leben. Depression ist eine eigenständige, ernsthafte, aber gut behandelbare Erkrankung.“  

Prof. Dr. Ulrich Hegerl
Professor Dr. Ulrich Hegerl ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention sowie der European Alliance Against Depression. Er hat eine Professur an der Goethe-Uni in Frankfurt inne.
Bild: Katrin Lorenz

„Entscheidend ist die Veranlagung“

In seiner Berufslaufbahn als Psychiater und Klinikdirektor hat Professor Hegerl Patienten oft über Jahre hinweg begleitet. Es ist ihm wichtig, das weit verbreitete Missverständnis auszuräumen, Depressionen seien in erster Linie auf die Lebensumstände zurückzuführen: „Entscheidend für eine Depression ist eine genetische oder durch Traumatisierung in der Kindheit erworbene Veranlagung“, so Professor Hegerl und erläutert: „Bei Menschen mit dieser Veranlagung sind aber äußere Faktoren wie Überforderungen oder Schicksalsschläge bedeutsam, da sie depressive Krankheitsphasen triggern können. Sie erleiden auch meist mehr als eine Krankheitsphase. Menschen ohne diese Veranlagung können die größten Bitternisse erleiden, ohne jemals depressiv zu erkranken.“

Warnzeichen erkennen

Die Symptome einer Depression sind vielfältig. Sie reichen von Schlaf- über Antriebsstörungen, verminderter Konzentration und Hoffnungslosigkeit bis zu gedrückter Stimmung (siehe Infobox). Auch die Neigung, jegliche körperliche Beschwerden, wie etwa Rücken- oder Kopfschmerzen, intensiver zu erleben, können erste Hinweise sein. Erkrankte Menschen berichten, sich innerlich wie abgestorben zu fühlen, alles sei Grau in Grau. Kommt es zusätzlich zum Verlust von Freude oder Interesse selbst an Dingen, die früher Spaß gemacht haben, sollte professionelle Hilfe aufgesucht werden. Erste Anlaufstelle ist meist der Hausarzt. Er kann eine Depression diagnostizieren und therapieren, aber auch an einen Facharzt oder psychologischen Psychotherapeuten überweisen. Denn eine Depression muss behandelt werden wie eine Blinddarmentzündung oder ein Diabetes – so schnell wie möglich und nach den nationalen Versorgungsleitlinien, sagt Professor Hegerl.

 

Kriterien einer Depression

Hauptsymptome:

  • Verlust von Freude oder Interesse
  • gedrückte, depressive Stimmung

 

Zusatzsymptome:

  • gestörte Konzentration und Aufmerksamkeit
  • Appetitstörungen
  • Antriebsmangel oder erhöhte Ermüdbarkeit
  • psychomotorische Agitiertheit oder Hemmung
  • Hoffnungslosigkeit
  • Schuldgefühle und vermindertes Selbstwertgefühl
  • Schlafstörungen
  • Suizidgedanken/-handlungen

 

Liegen fünf Symptome, davon mindestens ein Hauptsymptom, länger als zwei Wochen vor, kann das ein Hinweis auf eine Depression sein. Je nach Intensität der Symptome und der damit verbundenen Einschränkung unterscheiden Experten zwischen leichter, mittelgradiger und schwerer Depression.

 

Quelle: Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention

 

Kontakte und Informationen

  • Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention bietet umfangreiche Informationen, Hilfs- und Kontaktmöglichkeiten sowie einen Selbsttest.
    Info-Telefon Depression: 0800 3344533
  • Die Kassenärztlichen Vereinigungen der Bundesländer helfen bei der Suche nach Psychotherapeuten und bei der Terminvermittlung für die psychotherapeutische Sprechstunde.
    Telefon: 116 117
  • Freunde und Angehörige können sich im austauschen, im Onlineprogramm finden sie hilfreiche Übungen und Videos.
  • Jedes Jahr Anfang Oktober finden anlässlich des Informationsveranstaltungen zu einem bestimmten Schwerpunktthema statt.

Tipps zum Selbstmanagement

  • iFightDepression ist ein Online-Training der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, das sich an Menschen mit leichteren Depressionen richtet. Das kostenfreie Tool baut auf den Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie auf und kann unter ärztlicher oder psychotherapeutischer Begleitung eingesetzt werden.
  • Auch sogenannte verschreibungspflichtige DiGAs (Digitale Gesundheitsanwendungen) können Unterstützung bieten. Ihre Anwendung muss vorab von der gesetzlichen Krankenkasse geprüft und genehmigt werden. Eine Übersicht gibt es beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
  • Regelmäßige körperliche Bewegungen kann eine Therapie unterstützen und helfen, Rückfällen vorzubeugen.

Antidepressiva oder Psychotherapie?

Die beiden wichtigsten Säulen der Behandlung sind Medikamente oder Psychotherapie. Je nach Schwere und Krankheitsverlauf kann es sinnvoll sein, beides zu kombinieren.

Die mit Abstand besten Wirksamkeitsbelege bei psychotherapeutischen Verfahren zeigt die kognitive Verhaltenstherapie – vor allem bei leichter bis mittelschwerer Depression. Dabei lernen Patienten in Gesprächen und Übungen zum Beispiel, mit belastenden Alltagssituationen anders umzugehen, Selbstüberforderung zu vermeiden und negative Gedankenmuster zu verändern.

Bei der medikamentösen Therapie kommen meist Antidepressiva zum Einsatz. „Sie beeinflussen über Botenstoffe verschiedene Hirnfunktionen, ohne dass der exakte Wirkmechanismus verstanden ist. Sie bringen depressive Krankheitsphasen zum Abklingen und können auch das Risiko von Rückfällen deutlich reduzieren“, erläutert Professor Hegerl. Bei den meisten Patienten mache sich ein erstes Abklingen der Symptome etwa zwei Wochen nach Therapiebeginn bemerkbar. Und: Antidepressiva machen weder süchtig noch verändern sie die Persönlichkeit, wie der Experte betont. Es gibt eine Reihe weiterer Behandlungsverfahren wie Hirnstimulationsverfahren, für die Wirksamkeitsbelege vorliegen, und ergänzende Maßnahmen wie Sport oder Lichttherapie bei saisonaler Depression, Bewegung, Wachtherapien sowie Online-Programme oder Apps (siehe Infobox).

 

Fehlwissen führt zu Stigmatisierung

Obwohl sich die Wahrnehmung langsam wandelt, nachdem mehrere Prominente ihre Erkrankung öffentlich gemacht haben: Aufgrund von Fehlwissen und einer umgangssprachlichen Verwendung des Begriffs gilt Depression nicht als eine Erkrankung wie andere auch, sondern wird leider manchmal immer noch mit persönlichem Versagen in Verbindung gebracht, beobachtet Professor Hegerl. Betroffene werden als wenig belastbar angesehen. Meist suchen sie die Schuld für ihre Erkrankung bei sich selbst und sehen sie ausschließlich als Reaktion auf bestehende Lebensprobleme, fühlen sich als Versager und Bürde für andere. Dieses Missverständnis birgt das Risiko, dass keine professionelle Hilfe gesucht wird – hier sind auch Angehörige und Freunde gefragt. Sie können beispielsweise anbieten, den Betroffenen zum Arzt zu begleiten. Somit signalisieren sie: „Du bist nicht allein, ich nehme deine Erkrankung ernst.“ Ihnen selbst kann der Austausch mit Familien oder Partnern in einer ähnlichen Situation guttun, zum Beispiel in Selbsthilfegruppen oder Diskussionsforen (siehe Infobox).

 

Unterschätzt: Altersdepression

Als Reaktion auf ungünstige Lebensumstände werden häufig auch die Anzeichen der sogenannten Altersdepression missverstanden. Viele glauben, Verlusterlebnisse, gesundheitliche Beschwerden, Einsamkeit oder der Umzug ins Seniorenheim seien natürliche, altersbedingte Gründe für ihre seelischen oder körperlichen Beschwerden: eine gefährliche Fehlinterpretation. Ziehen sich ältere Menschen mit Depressionen dann völlig zurück, trinken und bewegen sich zu wenig, kann dies lebensbedrohlich sein, so Professor Hegerl.

Anzeichen erkennen, professionelle Hilfe annehmen – darauf kommt es also letztlich an, um aus dem Grau in einen lebenswerten Alltag zurückzukehren. Wie Elfriede, die hier das Schlusswort haben soll: Mit 55 erlebte sie erstmals eine schwere depressive Phase und stellte fest, dass es die ganz einfachen Dinge sind, die dem Depressiven den Alltag und die Krankheit erleichtern könnten. „Doch nur wenige gute Freunde haben den langen Atem“, sagt die heute 62-Jährige. „Am liebsten waren mir die Menschen, die mich samt meiner Depression angenommen haben. Die nicht versuchten, mir die Krankheit auszureden.“ Ihr persönliches Fazit: „Ich kann vermitteln, dass Depressionen behandelbar sind, vorbeigehen und mein Leben dann noch ein Stück wertvoller und schöner geworden ist.“

Wie Elfriede haben es sich auch andere Betroffene zur Aufgabe gemacht, über ihre Erfahrungen mit der Depression öffentlich zu sprechen, um das Thema aus der Tabuzone zu holen. Ihre Erfahrungsberichte finden Sie auf der Website der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention

 

Erscheinungszeitpunkt: Oktober 2025
Bildquelle: Pixabay/Abbat1
Redaktion: mk Medienmanufaktur GmbH

 

 

 

In Deutschland sind 11,3 Prozent der Frauen und 5,1 Prozent der Männer an einer Depression erkrankt.

Bild: Pixabay/Abbat1

Eine Depression ist eine ernsthafte Erkrankung, die behandelt werden muss – mit Medikamenten oder Psychotherapie. Erste Anlaufstelle kann der Hausarzt sein.

Bild: Pixabay/Max

Betroffene suchen die Schuld für ihre Erkrankung oftmals bei sich selbst und sehen sich als Bürde für andere. Hier sind Angehörige und Freunde gefragt.

Bild: Coloplast

Regelmäßige körperliche Bewegung kann eine Therapie unterstützen und helfen, Rückfällen vorzubeugen.

Bild: Coloplast

1. Jacobi et al. (2016). Erratum zu: Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul „Psychische Gesundheit“ (DEGS1-MH). Nervenarzt, 87, 88–90.