Die Angst vor Leckagen bewältigen

Was, wenn meine Versorgung undicht wird? Wie reagieren die Menschen um mich herum? Sollte ich besser zu Hause bleiben? Die Angst vor Leckagen beeinflusst das Leben vieler Stomaträger. Auch Jürgen, der aufgrund einer Colitis-ulcerosa-Erkrankung zunächst ein temporäres und schließlich ein dauerhaftes Stoma bekam, hat damit zu kämpfen. Doch davon will er sich nicht unterkriegen lassen.

Über 20 Jahre lebt Jürgen mit Colitis ulcerosa, bis sich die chronische Krankheit 2018 nicht mehr mit Medikamenten behandeln lässt. „Nur noch die Beigabe von Cortison hat das Leben einigermaßen erträglich gemacht“, erzählt der heute 49-Jährige. Ein Spezialist empfiehlt dem gelernten Bankkaufmann 2019 schließlich eine Dickdarmentfernung und die Anlage eines Pouches*. „Das habe ich dann auch machen lassen und hatte für drei Monate ein temporäres Stoma.“
Vor der Operation musste Jürgen bis zu 30-mal am Tag auf die Toilette. „Ich wusste immer, wo die nächste Toilette ist. Mit dem Stoma habe ich gemerkt, dass mein Leben eine ganz andere Qualität bekommt.“ Allerdings hatte er in dieser Zeit mit drei Leckagen zu kämpfen, die sich ihm eingeprägt haben. Nach der Rückverlegung lebt Jürgen zwei „wunderbare“ Jahre mit dem Pouch. Bis er im Sommer 2021 bei einer Routineuntersuchung die Diagnose Darmkrebs erhält. „Es war genau das kleine Stück zwischen Schließmuskel und Pouch betroffen. Ich hatte bis dato keine Anzeichen. Und dann stand ich vor der  Wahl: die schließmuskelerhaltende Operation oder die komplette Entfernung und ein dauerhaftes Stoma. Am Ende hat dann die Vernunft gesiegt.“ Nach der Operation ist Jürgen zunächst viele Wochen ans Bett gefesselt, kann nicht sitzen. „Das Stoma war da eigentlich nur eine Randerscheinung. Doch ich war überglücklich, dass der Tumor komplett entfernt werden konnte und er nicht gestreut hatte.“ Als es dann an die eigenständige Versorgung des Stomas ging, war das für ihn kein Problem. Dabei half ihm auch seine positive Grundeinstellung. „Ich wollte von Anfang an von niemandem abhängig sein. Außerdem waren die Vorbereitung im Krankenhaus, die Begleitung meiner Homecare-Fachkraft und die Produkte von Coloplast top. Das alles hat es mir leicht gemacht, mit dem Stoma klarzukommen.“ 

 

„Man beschäftigt sich viel mehr mit Leckagen“

Jürgen nutzt von Anfang an das zweiteilige SenSura® Mio Click-System sowie den Brava® Hautschutzring und ist zufrieden damit. Dennoch hatte sich bei dem 49-Jährigen seit seiner Zeit mit dem temporären Stoma ein Gedanke im Kopf festgesetzt: die Angst vor Leckagen. „Damals erlebte ich drei Leckagen – und die haben sich fest eingeprägt. Es passierte einmal im Büro, einmal als wir unterwegs im Baumarkt waren und einmal nachts während des Schlafens. Und in allen drei Situationen war es immer gleich das volle Programm“, erzählt Jürgen. „Besonders schlimm war es im Büro. In meinem Job in der Bank trage ich immer weiße Hemden. Und das hat sich dann halt braun gefärbt.“ Die Gefühle, die er dabei erlebt hat, gingen von „peinlich berührt, stinksauer, irritiert bis hin zu aufgelöst. Ich war vollkommen durch den Wind, man würde sich gerne in Luft auflösen.“ Die Angst vor weiteren Leckagen trifft den 49-Jährigen vor allem psychisch. „Sie ist reine Kopfsache. Man beschäftigt sich weniger mit seinem Stoma, vielmehr mit den Leckagen.“ Und das beeinflusste auch seinen Alltag. Jürgen ist schon immer ein aktiver Mann. Er spielt seit dem Jugendalter  Volleyball, macht im Sommer Stand-up-Paddling, geht joggen, organisiert Vereinsfeste. „Ich habe mich gefragt: Soll und kann ich noch Volleyball spielen?  Was muss ich unterwegs mitnehmen, falls eine Leckage passiert?“

 

Er wechselt seine Versorgung anfangs häufiger als nötig, schränkt seine Aktivitäten ein. Mit der Zeit lernt Jürgen jedoch, auf seinen Körper zu hören. „Auch die Produkte von Coloplast haben viel zu einem sicheren Gefühl beigetragen.“ Außerdem findet der  Vater von drei Kindern einen starken Rückhalt bei seiner Frau. „Vieles habe ich ihr zu verdanken. Von dem notwendigen Tritt in den Hintern vor der entscheidenden Operation bis hin zu den Worten: ‚Das verändert auch bei uns nichts. Ich bin froh, wenn wir weiterhin gemeinsam durchs Leben gehen können.‘ Meine Frau hat mich immer spüren lassen, dass ihr das Stoma wirklich nichts ausmacht.“ Für Jürgen ist es nun auch wichtig, anderen Mut zu machen. „Ich möchte zeigen: Mit Stoma ist das Leben nicht vorbei, ganz im Gegenteil. Man kann normal weiterleben, wenn man nicht den Kopf in den Sand steckt und auch dafür aufgeschlossen ist, Neues auszuprobieren. Und: Niemand ist allein.“

Die Angst vor Leckagen spielte sich bei Jürgen vor allem im Kopf ab.

Einen starken Rückhalt bekommt Jürgen von seiner Frau.

Quelle: Wendepunkt Nr. 94 – Frühjahr/Sommer 2023, mk Medienmanufaktur GmbH

Bildquelle: Bildquelle: Coloplast (Bilder Testimonial Jürgen)

  1. * Ein Pouch (englisch: Beutel, Tasche) ist ein aus Dünndarmschlingen geformtes Reservoir, das den recht flüssigen Darminhalt des Dünndarms sammelt und die direkte Entleerung hinauszögert.
  2. 1. Jeppesen PB et al. Impact of stoma leakage in everyday life: data from the Ostomy Life Study 2019. Br J Nurs 2022, 31(6): 48–58
  3. 2. Down G et al. Perception of leakage: Data from the Ostomy Life Study 2019. Br J Nurs 2021, 30 (22): 4-12
  4. 3. Martins L et al. Challenges faced by people with a stoma: peristomal body profile risk factors and leakage, Br J Nurs 2022, 31(7): 376–385